Freitag, 31. Juli 2009

Angst fressen Hirn auf

Mir war doch glatt so, als gebe es im Iran ein Dörfchen mit dem Namen Braunschweig. Nun, leider verfehlt, es geht um jene deutsche Stadt Braunschweig und wäre die vorgefallene Aktion nicht so unfassbar lächerlich dächte man sich beinahe in einem totalitären System gefangen. Aber nein, juristisch ist das alles so weit abgesichert, zumindest grob, und Gesetze sind nun einmal da um beachtet zu werden.

Doch klären wir kurz die Situation. Am heutigen Freitag, um 16 Uhr, also quasi genau jetzt, sollte, nach Wunsch von Dirk Schadt, Autor aus Braunschweig, auf dem Schloßplatz vor dem Braunschweiger Einkaufszentrum "Schloßarkaden" ein Flashmob zum Thema "Picknick" stattfinden. Angedacht war eine zweistündige Versammlung mit Speiß und Trank. Verhindert hat dies das Ordnungsamt, welches Schadt aufforderte die Versammlung abzusagen. Herr Schadt tat sein übriges und bat darum - dem Auftrag des Ordnungsamtes, dies im angemessenen Umfang zu tun - via Blog, Flugblättern, Foren und kleinen Informationsblättern an Luftballons die Information weiterzugeben. Dezentrale Organisationsstrukturen greifen eben nicht auf einen E-Mail Verteiler zurück. Mag die Sache als solche schon belustigend sein, so betrachte man erst einmal die Argumentationsstrucktur von Seiten der Behörden.

Argument eins galt dem Pflaster. Die Pflastersteine, so das Amt, seien sehr teuer und sollten keiner unnötigen Belastung ausgesetzt werden, entsprechend möge man doch von dem Vorhaben absehen. Der Anfrage des Iniziators, inwiefern weiche Decken denn gefährlicher sein, als die Absätze von hochhakigen Schuhen, welche Tag für Tag das Pflaster malträtieren, erfolgte leider keine Antwort mehr. Wahrscheinlich war selbst den Bürokraten aus Braunschweig bewusst, dass ihre Argumentation so stupide war, dass man sich lieber zurückzöge.

Deutlich interessanter ist jedoch sogar Argument zwei, welches sich auf die Nutzung des öffentlichen Raumes bezieht. So sei, nach Angaben der Braunschweiger Behörden, der öffentliche Raum lediglich zur Fortbewegung von Punkt A nach Punkt B zu nutzen und nicht zum Aufenthalt gedacht. Die Antworten, welche die Diskussionen in einigen Foren daraufhin prägten, waren in ihrer Vielfältigkeit und ihrem Abwechslungreichtum äußerst lesenswert. Besondere Unterstützung verdient mit Sicherheit der Beitrag eines Forumbesuchers, welcher die Ausweitung von Reiterstaffeln forderte, welche dann, mit kleinen Lanzen bewaffnet, jeden durch leichtes Pieken zur Fortbewegung bringen könnten, der meine, stehen zu bleiben und so den öffentlichen Raum zu missbrauchen.

Doch Spaß bei Seite, denn die Sache ist ernst. Herr Schadt, ebenso entsetzt wie amüsiert, meldete daraufhin eine Demonstration für "Kunstfreiheit und die gemeinschaftliche Nutzung von öffentlichen Räumen" an - und wurde abgewiesen. Das Gedankengut, welches sich dahinter verbirgt, ist gefährlich. Augenscheinlich, auch im Zuge einer stärker werdenden Piratenpartei, fürchten die öffentliche Organe einen Generations-, Sozialstatus und auch der politischen Orientierung übergreifenden Zusammenschluss von Aktivisten, welche sich, eben vor allem von politischen Doktrinen gelöst, für Bürgerrechte und Kultur einsetzen. Alternative Kulturen zur öffentlichen Ordnung, weg von der Stigmatisierung und Präkriminalisierung bisherigen Subkulturen, könnten dort zu einem großen Problem für die bestehenden Machtstrukturen, vor allen im kommunalen und regionalen Raum werden. Eine Art Außerparlamentarischer Opposition ohne jede Form von Radikalität und politischer Angriffsfläche.

Wie sehr die Obrigkeit diese Volksbewegung fürchtet zeigt sich in letzter Zeit immer öfter, so achtet schon der Verfassungsschutz verschärft auf Ankündigungen zu Flashmobs jeder Art. In Karlsruhe kam es vor wenigen Tagen sogar zu direkten Drangsalierungen gegen aktive Bürger seitens der Polizei. Das Phänomen Flashmob dürfte von daher ein interessantes neues Mittel des Protestes werden, vor allem, da diese Institution als solche noch nicht durch Medienpropaganda vergiftet wurde.
Ich werde dann jetzt schnell zum Bus, um den öffentlichen Raum nicht zu lange zu missbrauchen.

2 Kommentare:

  1. Kann es sein, dass du den Flashmobs ein bisschen viel Bedeutung zuschreibst, besonders eigene Vorstellungen da noch reinbringst? "Die Obrigkeit" - als Philosoph solltest du genau solche Pauschalisierungen eigentlich vermeiden, denn mit Verlaub - wenn da irgendwelche Pappnasen rumflashen juckt "die Obrigkeit" das kein Stück - vielleicht irgendwelche peniblen Bürokraten einer Stadtverwaltung - aber die als Obrigkeit anzusehen finde ich irgendwie arm. Außerparlamentarische Opposition? Piratenpartei? (die im übrigen angekündigt haben, man würde mit Grün und FDP koalieren, ggf. aber auch mit SPD/CDU, sollten diese von ihrem Inet-Verbot abrücken) ... jaaa, doch, soein Picknick hat eine unglaubliche politische Aussagekraft ... überleg mal halbwegs neutral, wieviele Leute zu den Flashmobs erscheinen würden, wenn es nicht einfach um Spaß ginge, sondern darum, eine "außerparlamentarische Opposition" zu bilden - richtig, die ganz Linken und die ganz Rechten. Tolles Klientel, darauf kann man doch bauen ...

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  2. Auf erstere mit Sicherheit, auf letztere weniger. Ich denke aber, du verkennst den Schritt einer "anonymen Netsociety" zu einer "sichtbaren Wirklichkeit".

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