Freitag, 26. Februar 2010

Deutsche Diskurskultur

Eigentlich ist es schon ekelhaft satirisch, was dort in den letzten Wochen durch die Medien läuft. Sei es Außenminister Guido Westerwelle, welcher seinen Sozialfaschismus mit falscher liberaler Ideologie würzt oder Robert Zollitsch, welcher Selbstverständlichkeiten als Revolution verkauft - und dies leider nicht einmal zu Unrecht - und natürlich nicht zuletzt der deutsche Feuilleton in der Diskussion um Frau Hegemann. Das diese Persivitäten, von letzterer einmal abgesehen, wenn auch nur in einem innerfeuilletistischen Streit, nicht für einen Aufschrei sorgen ist ein Armutszeugnis für die deutsche Bevölkerung. Doch gehen wir der Reihe nach.

Dass die FDP zwangsweise provozieren muss, bewies ihr Vorsitzender in den letzten Tagen zur Genüge. Es reichte nicht der subtile Rassismus des Europawahl Plakates ("Bildung ist ein Bürgerrecht"), nein, nun wird der Vorschlaghammer ausgepackt. Jene stark rechtsliberale Ausrichtung der FDP, welche linksliberale Parteimitglieder schon länger beklagen, zeigt sich nun von ihrer schwärzesten Seite: Das die FDP sich weit rechts von der CDU ansiedeln würde, das hätte wohl niemand gedacht. Doch Westerwelle versteht es geschickt, sich einer breiten Bevölkerungsschicht zu nähren. Arbeitslose sind tendenziell keine FDP-Wähler und verbitterte Niedriglöhner sind wahrscheinlich leichter auf zu hetzen, als es die Führung einer konstruktiven Debatte um einen Mindestlohn wäre.
Der "liberale" Primus hat dabei nun auch schon lange nicht mehr ein aufstrebendes Bildungsbürgertum jüngerer Generation vor Augen, dieses zieht eher zu den Grünen, sondern verträumte Kapitalisten des amerikanischen Standarts; Menschen also, welche unreflektiert dem Traum des sozialen Aufstieg nachhängen. Spräche Westerwelle eine junge Intellektuelle an, so wären seine Worte geschickter gewählt. Der Begriff der Dekadenz ist für eine kontroverse Debatte geeignet, aber jedoch vollkommen unpassend im Bezug auf die Thematik. Westerwelle als Usurpator des Dialoges über den Sozialstaat bedeutet also die Abkehr von einer ernsthaften Auseinandersetzung hin zu einer Kultur der billigen Propaganda - hier kann von Dekadenz die Rede sein. Der Außenminister drängt, so denke ich, sukzessive zu einer Reideoligisierung der Politik und dies vor allem mit einem Ziel: Jeden zu diffamieren, welcher von sozialer Gerechtigkeit spricht und dies mit dem Argument der Leistungsgerechtigkeit. Was Westerwelle sagt - bei gleichen Chancen habe ein Jeder das Heft selbst in der Hand - ist so nicht einmal falsch, es ist lediglich unrealistisch, zumindest innerhalb eines kapitalistischen Systems.

Doch die Frage ob ein System die notwendigen Opfer auffangen muss, welche seine Sieger erzeugen stellt sich nicht nur bei Deutschlands schlimmsten Außenminister seit 1945, sondern auch bei der italienischen Institution für organisierte Verbrecher, der katholischen Kirche.

Robert Zollitsch, Vorsitzender der Bischofskonferenz gab just heute bekannt, die katholische Kirche werde in Zukunft bei Missbrauchsfällen mit der Staatsanwaltschaft zusammen arbeiten, die deutsche Politik begrüßt dies.
Begrüßenswert ist dies durchaus, andererseits jedoch auch eine Selbstverständlichkeit, welche seit Jahren missachtet wurde. Über die gesamte Zeit ihres Bestehens hinweg weißt die Kirche erstaunlich viele Fälle von Morden, Vergewaltigung und Kriegen auf. Keinem anderen Staat außer dem Vatikan würde so viel Diplomatie gegenüber gebracht, hätte er eine Herrscherreihe, welche sich dieser Verbrechen schuldig gemacht habe.
Schon seit mehreren Jahrzehnten gibt es Untersuchungen über die Verbindung der strengen sexuellen Moralvorstellungen der Kirche und dem überproportional häufig auftretenden Misshandlungen Schutzbefohlener in dieser Institution. All jene Studien führten so äquivalenten Ergebnissen: Es gibt eine Verbindung.
Die Gegenwehr der Kirche erfolgte auch in diesen Tagen wie absehbar. Bischof Mixa beschuldigte die pornographisierte Gesellschaft Schuld an den Vorfällen zu haben. Das dies im Widerspruch zu dem Sachverhalt steht scheint dem dreisten Pfaffen nicht bewusst, denn nicht in der aufgeklärten Gesellschaft, sondern im moralischen Korsett des organisierten Christentums entstand der corpus delicti. Aber auch hier debattiert das deutsche Volk nicht fleißig, lehnt sich nicht auf und stellt nicht einmal die Frage, warum der Staat Steuern für eine Institution eintreibt, welche sich immernoch dagegen wehrt ihre Rolle im Nationalsozialismus aufzuklären.
Die Fälle von tausendfachen Vergewaltigungen in den USA hatten damals weltweit für Entsetzen gesorgt, die Fälle von hundertfachen Vergewaltigungen in Irland, vom Vatikan mit schützender Hand gedeckt, erweckten ebenfalls einen Aufschrei, auch die Fälle in Deutschland taten dies, jedoch konsequenzenlos.

Armes Deutschland lässt sich da nur sagen.
Ach übrigens, ob Helene Hegemann nun geklaut hat oder nicht sei mir vollkommen egal. Es spricht jedoch für das kulturelle Verständnis der Deutschen, dass sie zu 95% nicht wissen, worum es in der Debatte geht.

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