Dienstag, 19. Oktober 2010

Keine Forschung in der Lehre – Betrachtung der Massenuniversität

Warum verkürzt ein brillianter Linguist de Saussure? Warum nimmt ein begabter Anthropologe fehlerhafte historische Einordnungen hin? Warum erklärt ein genialer Sprachphilosoph simple Voraussetzungen ein ums andere Mal?

Eine Hauptbefürchtung der HochschullehrerInnen während der letzten Bildungsproteste war, dass die Studierenden und die Öffentlichkeit die Lehre als primäre Aufgabe der Universitäten ansähen – und nicht die Forschung. Gegenteiliges wurde immer beteuert, viel mehr noch der unbedingte Zusammenhang zwischen qualitativer Forschung und guter Lehre.

De Facto existiert diese Verbindung nicht mehr. Die Massenuniversität unserer Zeit ist keinesfalls ein Ort des Diskurses, an welchem interessierte Studierende aktiv die Forschungsergebnisse ihrer Dozentinnen und Dozenten erarbeiten, sie ist hingegen ein Ort, an welchem eine „richtige Denke“ oktroyiert wird. Arbeitsmarktkompatibilität, Zeitökonomie und Verkürzung: Dies sind die Parameter der universitären Ausbildung. Ausbildung? Richtig, Ausbildung. Die Universität als Ort der Wissenschaft, Kunst und Kultur – ihrem Selbstzweck genügend und die soziale Wirklichkeit reflektierend – gibt es nicht mehr. Vielleicht bleibt ein kleines studentisches Avantgarde welches dann auch den wissenschaftlichen Nachwuchs bildet, die gesellschaftliche Betrachtung dieser Minorität wird jedoch keine positive sein.

Prof. Dr. Eschbach, Professor für Semiotik an der Universität Duisburg-Essen, stellte zum Beispiel die Frage, warum de Saussure falsch gelehrt werde. Die Antwort darauf ist einfach; festzustellen und zu unterrichten, dass das Hauptwerk jenes Linguisten gar nicht Seines ist, bräuchte zu viel Zeit. Die Idee, welche unter seinem Namen veröffentlicht wurde, ist anerkannt. Warum also eine historische Richtigstellung.

Ebenso verhält es sich mit der Verkürzung wichtiger und prägender Autoren. Ein Kapitel, ein Essay und alles zum Download. Ein Blick in die Zimmer der Geistes- und GesellschaftswissenschaftlerInnen wäre interessant. Ein ganzes Buch von Luhmann bei einem Sozialwissenschaftler? Descaters Mediationen bei einer Philosophiestudentin? Huxley bei Anglisten? Fehlanzeige. Ein Groß der GermanistikstudentInnen interessiert sich nicht einmal für Thomas Mann, Alfred Döblin oder Johann Wolfgang Goethe.

Eben so nimmt sich auch der Kulturbegriff dieser Generation aus. Kein Theater, kein wissenschaftliches Gespräch: Abendbeschäftigung ist vulgäres Feiern. Ab 18 Uhr ist der geneigte Student eben ein junger Mensch. Beneidenswert, wer den Kopf freikriegen kann, jedoch traurig, wer den Kopf immer frei hat. Und dies ist die Majorität.

Die Reformen im bildungspolitischen Sektor haben diese Bewegung gefördert. So löblich die soziale Öffnung der Universitäten war und ist, so falsch wurde sie angegangen. JedeR darf studieren und wer das intellektuelle Vermögen dazu hat, soll dies auch können. Aber nicht JedeR muss studierenden. Der normative Zwang zum Studium, welches die universitäre Laufbahn zur simplen Berufsausbildung degradiert, ist der gezielte Versuch einer reaktionären Politikerklasse eine sukzessive Verdummung eines Volkes herbeizuführen. Wer sich dem nicht ostentativ entgegenstellt fördert diese Entwicklung nachhaltig. Ein Studium soll und muss epistemologisch angelegt sein, keinesfalls auf Verwertbarkeit.

Achja, die Resignation der älteren ProfessorInnenschaft ist nachvollziehbar, doch sollte dies eine nachfolgende Generation niemals aufhalten!

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