Sonntag, 20. Dezember 2009

Wölfe im Winterschlaf

Und passend zu dem Schneechaos vor der Tür ein wenig winterliche Poesie. Ebenfalls für die zweite Sammlung "Agonie & Ecstasy" ist die folgende Geschichte gedacht. Ein Schelm wer da an Hesse denkt.

Ich beobachte deinen Schlaf. Du liegst dort, wirkst wie tot...so friedlich und unbeweglich. Gern würde ich dich berühren, ein Haar zur Seite streichen, eine Kontur deines Gesichts nachahmen, aber ich möchte dich nicht wecken und du würdest erwachen berührte ich dich, denn so sind wir Wölfe. Wir sind einsame Jäger in einer kalten Umgebung und wissen: Jede Veränderung der Umgebung bedeutet Gefahr. Meine Berührung zeigt dir Gefahr an und wir sind uns gegenseitig gefährlich, wir Wölfe.

Ich mag es dich lächeln zu sehen, doch niemals lächelst du im Schlaf, niemals scheinst du einfach glücklich, immer signalisierst du Abwehr und so sind wir Wölfe, stets sind wir bereit aufzuspringen, das Fell zu sträuben, zu knurren, zu beissen, zu töten – unser Leben zu verteidigen.

Wir Wölfe sind Einzelgänger. Unsere Umgebung bietet nicht genug Nahrung um in Rudeln durch die Steppe zu streifen. Es wäre unser Untergang, blieben wir nicht einsam. Nur wenn es ganz kalt ist, dann finden wir uns zusammen und geben uns die Wärme, welche nicht einmal ein dickes Fell geben kann. Für eine Nacht, eine Woche, manchmal einen Winter. Dann jagen wir gemeinsan die noch karger werdende Nahrung und teilen in tiefer Verbundenheit das geringe Mahl. Dann sind wir plötzlich ach so soziale Geschöpfe und könnten ohne einander nicht auskommen, nicht in dieser Nacht, nicht in dieser Woche, nicht in diesem Winter.

Doch wir sind scheu geworden. Oftmals kämpfen wir alleine gegen den Sturm. Zu viele Schafe haben sich unserer verstorbenen Genossen bedient und sich in Wolfspelze gekleidet, bereit, an unserer Seite zu liegen, bereit ihresgleichen zu fressen, nur um sich wölfisch zu fühlen. Zu viele Schafe haben erlebt wie schwach wir sind – bis wir sie töteten. Wölfe kennen keine Gnade. Immer wieder blitzt auch an dir weiße Wolle auf, wenn das Fell dünn zu werden scheint. Doch wenn ich genauer nachsehe, so ist alles grau. Graues Fell über einem robusten Körper, welcher gemacht ist, alles zu überstehen – auch die Einsamkeit.

So liegen wir bei einander, teilen uns die Wärme unserer Körper, teilen uns die Stärke unserer Körper und fürchten doch immer neben einem Schaf zu liegen, welches sich als Wolf verkleidet hat, um nicht zerissen zu werden, doch zerissen wird, aber uns dabei zerreisst. So sind wir Wölfe, wir sind so misstrauisch gegen uns, dass es schmerzt.

Und jetzt liegst du neben mir und ich sehe wieder Wolle blitzen, täusche mich wieder, wahrscheinlich um mich täuschen zu wollen, denn ich will dich zerreissen, auch wenn es mich zerreißt!

Und so sind wir Wölfe. Wir trennen uns und sehen uns nie wieder, bis wir einen vertrauten Kadaver am Rande jener Pfade finden, die nur wir kennen, um dort zu verweilen und sich der Zeit zu erinnern. Dieser Nacht, dieser Woche, dieses Winters und wissen dann endlich, dass wir neben einem Wolf lagen, nicht neben einem Schaf.

Und du meine Wölfin? Verdeckst du deine Wolle nur gut oder werde ich eines Tages jene einsamen Pfade wandern, die nur wir kennen und deinen Kadaver am Rande liegen sehen? Werde ich mit der Nase im Blut deiner erkalteten Eingeweide wühlen und hoffen mich zu irren, nicht dich zu riechen, sondern nur deine Spur, weil du auch auf jeden Pfaden wandertest? Werde ich an deinem Fell zupfen, wenn alles gewiss ist und hoffen, dass sich doch Wolle unter dem grauen, harten Fell findet? Durchdringliche Wärme unter der kalten Wolfshaut? Werde ich vergehen oder wachsen an dem Wissen, dass du eine Wölfin warst? Meine Wölfin! Meine Wölfin, wenn auch nur für diese eine Nacht, diese eine Woche, diesen einen Winter.

1 Kommentar:

  1. Hätte nicht erwartet, dass du einen so ehrlichen Text verfasst. Bin davon ausgegangen, dass du stärker versuchst deine Persönlichkeit zu verbergen, wie im Gespräch.

    Hat Sascha noch die Güte gehabt dir zu verraten, inwiefern du dich zum Spielball degradiert hast?

    Anna (annawehrheim@hotmail.de)

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