Donnerstag, 3. September 2009

Die Rationalisierung des Gefühls

Fähige Musiker wissen das und wollen sie sich nicht, entgegen ihrem Wissen, als Virtuosen aufspielen, so handeln sie nach einem einfachen Schema: Jede Note ist die logische Konsequenz aus der Summe der vorangegangen. Was sich für den Anfänger oder Unerfahrenen gut anhört ist für den gebildeten Theoretiker klares Kalkül. Wird der Theoretiker jedoch zum Praktiker so erfüllt auch ihn die Theorie eben wieder mit Gefühl, denn sie gelingt, weil es eben dem Ohr schmeichelt, sozusagen eine auditive Ästhetik in sich birgt. Das Genie besorgt in diesem Falle vielleicht noch das Zusammenspiel des Gesamten (Eine Orchestrierung als Echo der Stimmen zum Beispiel), doch ist alles logisch nachvollziehbar.

Kürzlich unterhielt ich mich mit einem entfernt bekannten Musiker über ein Intro meiner Band, welches wir live immer ohne feste bpm Anzahl spielen und merkte an, dass dieses Intro eben eines gewissen Feelings bedürfe, er widersprach, man könne das Intro eben einige Male spielen und dann habe man die entsprechende Geschwindigkeit irgendwann heraus. Wahrlich, so Unrecht hat er nicht. Sicher könnte man es so machen und würde ein Generaloptimum finden, welches jedoch hinter dem Individualoptimum zurückstünde. Es fühlt sich nicht immer alles gleich an für den schaffenden Künstler. Mal ist ihm das Stück in 120bpm zu schnell, mal in 130 zu langsam - eine entsprechende Irritation wirkt sich sodann auf sein Schaffen aus.

Ähnlich ist es auch bei der zwischenmenschlichen Beziehung. Viele Dystopen sagten bereits frühzeitig eine Zunahme der zwischenmenschlichen Kälte voraus, ebenso agieren jene Warner der Kulturindustrie und strenge Gegner der "neuen Medien". Der Essayist Sven Hillenkamp schrieb dazu in seinem aktuellen Buch Das Ende der Liebe:
"Das romantische Gefühl, die romantische Liebe, wird in unserer Gesellschaft untergraben, weil die Menschen, die permanent suchen und wählen müssen, permanent darüber nachdenken, was sie suchen und wählen wollen, also ihre Suche rationalisieren. Am Ende suchen sie dann etwas Rationales. Die Wahlmöglichkeit, die ja eine Voraussetzung für die romantische Liebe ist, untergräbt sie also gleichzeitig."

Ähnlich wie bei der Musik kann auch in zwischenmenschlichen Beziehungen das Gefühl - dieser Begriff soll zuerst einmal abstrakt bleiben - quasi zu Tode theoretisiert oder intellektualisiert werden. Die Frage welche sich, zumindest mir, an dieser Stelle aufdrängt ist jene, ob der Mensch als rationalisierendes Kontra des Gefühls in diesem Falle nun Praktiker oder Theoretiker ist. Man stelle sich folgendes Beispiel vor:
Eine Person A überprüft ihre Befindlichkeit gegenüber einer Person B umfassend nach rationalen Kriterien. Sie überdenkt den Nutzen einer Fortsetzung des kooperativen Lebens und erwägt Veränderungen, sie umfasst in ihren Gedankengängen ebenfalls so etwas wie ästhetische Anziehung und Sympathie, untersucht das Bauchgefühl auf seine Reaktionsstelle in der Aussenwelt und erwägt diese nach allen Regeln der Vernunft. Wenn jene Person A nun feststellte, dass ihre Zuneigung zu Person B rational nicht zu rechtfertigen ist, wäre sie in diesem Moment ein Praktiker und würde als vernünftiges Wesen eine rationale Entscheidung treffen, oder wäre sie ein Theoretiker und wüsste, das sich eben jene theoretische Auslegung in der Lebenswirklichkeit verändern möge, dass sie sich eben gerade nicht nach 120 bpm fühle, sondern nach 115bpm und dies somit auch ausdrücken muss, da ihr notwendigerweise keine Alternative bliebe?

Wir treffen im kleinen Maße, jeder bei sich selbst, diese Überlegung oftmals an. Genau in jenem Moment, in dem wir nicht verstehen, warum wir doch wieder den Telefonanruf beantworten, warum wir doch wieder zu hören und warum wir doch noch einmal wiederkehren. Dort treffen sich der Theoretiker und der Praktiker in uns, doch sie gehen friedlich gemeinsame Wege - allzumenschliche Wege.

Doch bleibt die Frage bestehen, ob Herr Hillenkamp mit seiner, mir durchaus schlüssig erscheinenden, Theorie recht haben kann. Untergräbt der rationale Mensch sich selbst, in dem er rationalisiert, was nicht zu rationalisieren ist? Hillenkamp sagt, die Möglichkeit der Auswahl sei Vorraussetzung und Zerstörer der romantischen Liebe, da sie sie ermögliche und gleichzeitig verhindere. Die Frage, welche ich mir jedoch stelle ist, wieviele rationale Überlegungen bereits verworfen wurden, zugunsten eines Bauchgefühls, dass jenen Auswahlkriterien widersprochen haben möge. Ist die Majorität der Menschen vielleicht garnicht in der Lage, sich zu theoretisieren? Wolfgang Amadeus Mozart gilt als große Ausnahme der europäischen Kultur und soll der einzige große Komponist mit einem absoluten Gehör gewesen sein. Mag es sein, dass nur einer unter Millionen in der Lage ist, das Gefühlte zu theoretisieren - wirklich zu theoretisieren.
Und angeblich sind es doch eh die Phäromone...

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